von Christiane
An diesem Nachmittag sollte der Versuch gestartet werden, rund um den Wandsbek-Markt koloniale Verhältnisse und Zusammenhänge zwischen damals und heute selbst zu kartieren. Ob eine solche Absicht mit Methoden des Offenen Kartierens wenigstens teilweise verwirklicht werden kann, würde sich erst im Laufe der Rundgänge zeigen. Zunächst galt es jedoch, sich mit den örtlichen Erwartungen an Ordnung und Sicherheit auseinander zu setzen: Die Teilnehmenden der Offenen Kartierung wurden am Startpunkt bei Conrad sogleich mit Misstrauen belegt. Eine hausinterne Aufsichtsperson störte sich an der menschlichen Ansammlung auf dem Vorplatz des Discounters und vor allem an den mitgebrachten Kameras. Auch der Hinweis, dass wir eben GPS Geräte und Zubehör im Hause gekauft hatten, also Kund_innen seien, genügte nicht. Wir sollten den Platz räumen.
Mit geschärftem Blick für das Thema, die gesellschaftliche Hintergründe [1] und den Prozess des Kartierens wanderten die Kartierenden mit Navigationsgerät, Klemmblock, Stift und Fotoapparat los. Unterstützend mit auf den Weg konnten [Fragen], gedruckt auf Papierstreifen, mitgenommen werden, die, wie sich gezeigt hat, während des Kartierens zwar nicht explizit bearbeitet oder gar beantwortet wurden. Es macht sich jedoch bemerkbar, dass die Fragen beim Durchwandern der Straßen oft mit gedacht wurden und so assoziativ wirken konnten.[2]
Hat der –ganz offensichtlich- vorgefundene Alltag rund um den Wandsbek-Markt postkoloniale Kontinuitäten gezeigt? Konnte der Blick hierfür über die Mischung aus Kartieren, Input, Fragen, Schlendern und Ausnahmezustand sensibilisiert werden? Für viele bot die besondere Zeitlichkeit, die sonst nicht zur Verfügung steht, die Chance, das Alltägliche anders zu denken und sich außerdem sofort in der Gruppe darüber auszutauschen.
Wie schon bei [Learning from Your Stadtraum], wo ebenfalls zu jeder Kartierungstour ein thematisch vorbereiteter Input gegeben wurde, konnte ich feststellen, dass für die meisten Teilnehmenden die (post)koloniale Relevanz der beobachteten Phänomene inflationär zunahm. Mit einer solchen Sensibilisierung steigen zugleich Chancen und Gefahren, denn die Aufmerksamkeit ist erhöht und bringt erstaunliche Entdeckungen zutage, das so interpretierende Umherschweifen kann aber auch banalisierende Effekte erzeugen.
Die eingeschlagenen Wege, die Markierungen, Fotos, Zeichnungen und Texte geben in jedem Fall vielfältig Auskunft über gesellschaftliche Sphären, deren Bewusstsein und Handeln. Die Kommentare zu den vorgefundenen Zuständen und die Auswahl der Kameraperspektiven übermitteln Empörung, Witz und Ironie. Bei den vier Gruppen zeigen sich verwandte Assoziationsketten. Gefunden wurden kuriose (Kolonial)waren [3] [4], der Geruchssinn wurde geschärft [5] und Verbots- [6] und Werbe-Schilder [7] [8] sowie zahlreiche Abbildungen festgehalten, die teilweise bereits Zitate stereotyper Vorstellungen einer postkolonialen Gesellschaft und deren selbstreferenzieller weißer Bilderwelt sind [9] [10]. Globaler Handel, Billiglohn und Ausbeutung [11] [12] [13] aber auch die Exotisierung von Menschen und Ländern, beispielsweise repräsentiert durch einen Privatclub auf dem Dach eines Hauses [14] oder durch Werbedarstellungen [15] [16] [17] sind ebenfalls Gegenstand der reichhaltigen Kartendokumentation.
Die Eingabe von Geodaten und Beschreibungen in den Wiki fand neben einer Diskussion gemeinsam im Anschluss an die Touren im Computerraum des [Charlotte-Paulsen-Gymnasium] statt.